<p>&bdquo;Entfremdung&ldquo; von Ingeborg Bachmann</p> <p>In den B&auml;umen kann ich keine B&auml;ume mehr sehen.<br /> Die &Auml;ste haben nicht die Bl&auml;tter, die sie in den Wind halten.<br /> Die Fr&uuml;chte sind s&uuml;&szlig;, aber ohne Liebe.<br /> Sie s&auml;ttigen nicht einmal<br /> was soll nur werden?<br /> Vor meinen Augen flieht der Wald<br /> vor meinen Ohren schlie&szlig;en die V&ouml;gel den Mund,<br /> f&uuml;r mich wird keine Wiese zum Bett.<br /> Ich bin satt vor der Zeit und hungre nach ihr<br /> was soll nur werden?<br /> Auf den Bergen werden nachts die Feuer brennen.<br /> Soll ich mich aufmachen, mich allein zu n&auml;hern?<br /> Ich kann in keinem Weg mehr einen Weg sehen.</p>

<p>Dresden- Loschwitzer Friedhof, den 01. Juni 1989</p> <p>Von Christine Abschied zu nehmen, hei&szlig;t auch sich ihrer Kraft zu erinnern.<br /> Kein Gewerk war ihr fremd, oft Planer, Meister und Geselle in einer Person,<br /> gestaltete sie unseren Lebensraum, dennoch und wissend um das Chaos und die Gef&auml;hrdung in der Welt.<br /> Wenige Wochen vor ihrem Tod pflanzten wir ein B&auml;umchen, sahen es im Geiste<br /> wachsen. Doch in ihr, bereits vom Gedanken &uuml;berschattet- lie&szlig;e sie fr&uuml;her als wir vom Leben, dann nur kurze Zeit vor unser aller Ende.<br /> An jeglichen Fortschritt zweifelnd und verzweifelnd, schmerzte sie die ma&szlig;lose<br /> Gier, ohne die Sicht auf die Lebensf&auml;higkeit zuk&uuml;nftiger Generationen. Heute alles haben zu wollen und unsere Welt in eine &ouml;kologische W&uuml;ste zu verwandeln.<br /> Ja, sie litt an der Welt, an der Unf&auml;higkeit in Frieden und Liebe zu leben, lernen aus der Geschichte, f&uuml;r sie eine leere Formel, angesichts von Destruktion, Mord und<br /> Hass in der Welt.<br /> So m&ouml;gen ihre Bilder auch Gleichnisse sein. Sie umkreisen immer wieder Verh&auml;ltnisse von Stabilit&auml;t und Chaos, Ruhe und Bewegung, Stille und Hektik. Doch bei allen ihren bildk&uuml;nstlerischen Halteseilen brechen nach und nach<br /> Beunruhigung und Instabilit&auml;t in ihre Hoffnung ein.<br /> Christines Weg in ihren selbstgew&auml;hlten Tod, war nicht ein davonschleichen, voran ging ein Kampf um die Sinnfrage ihres Lebens und in der Stunde h&ouml;chster Not schreibt sie am 23. Mai 1989: &bdquo;Liebster, ich kann nicht mehr, was hilft es dem Menschen wenn er die ganze Welt gew&ouml;nne und n&auml;hme doch Schaden an seiner Seele.&ldquo;<br /> Adieu- Christine.</p>

<p>Essen, den 16. Juni 1989</p> <p>Lieber Dieter,</p> <p>wir haben Deinen traurigen schlimmen Brief erhalten, heute, ich habe ihn nach dem &Ouml;ffnen Irmgard vorgelesen. So haben wir zusammen von Christines Tod<br /> erfahren und konnten uns aneinander festhalten. Und wir haben uns gefragt,<br /> woran h&auml;ltst Du Dich fest?<br /> Jetzt machen wir uns Vorw&uuml;rfe, da&szlig; wir die zwanzig Tage zwischen ihrem Brief und ihrem Tod nicht genutzt haben ihr nahe zu sein. Aber es ist ja das Schlimme, manche erleben viel, fast zu viel, atemlos viel und andere wenig. Diejenigen, die sich langsam vom Leben abwenden, erleichtern uns die Trennung mehr und mehr und ziehen sich in ihren eigenen Raum zur&uuml;ck und versperren die Zug&auml;nge. Sie vermitteln uns, niemand k&ouml;nne ihnen helfen. Davor liegt noch ein Aufbegehren, dann schlie&szlig;lich immer stiller, begeben sie sich hinaus und verlassen uns.<br /> Irgendetwas, entscheidendes sind wir Christine schuldig geblieben. Sie zeigt,<br /> da&szlig; nichts glatt geht, nicht alles zu machen ist, nicht weil man sich weigert, sondern weil es vielleicht nicht die Liebe war, die sie h&auml;tte verwandeln k&ouml;nnen.<br /> Einzelne Liebende wie Du und wir, finden nur bestimmte Schneisen und die<br /> Welt produziert mehr Ausgeschlossene als Geliebte.<br /> Wie sagte Christine: &bdquo;... diese gespaltene Welt ist auch so ein wunder Punkt&ldquo;.<br /> Vielleicht, wir wissen nicht, bist Du im trauern unge&uuml;bt. Du hast Arbeit, Aufgaben,<br /> Verpflichtungen. Das ist gut. Hoffentlich hast Du Freunde, das ist besser. Solche, die sich einen Tag und eine Nacht zu Dir setzen wie bei Hiob.<br /> Wir w&uuml;nschen Dir, die Trauer m&ouml;ge Dich von Zeit zu Zeit ereilen. Denn Trauer<br /> ist warm, Leere ist kalt.</p> <p>Irmi und Dieter</p>